La Ínsula

 

Umzingelt von schimmernden Wogen
- sie schwappen heran
sie schlürfen davon -
Bin ich auf mich selbst zurückgeworfen. Da ist, außer welliger Weite, weiter nichts
und inmitten dessen stehe ich. Meine Fersen, meine Fußkanten auf dem warmen Stein,
um die Knöchel säuselt leichter Wind.
Ich stecke die Hände in die Taschen und zwirble den Sand zwischen meinen Fingern.
¿Qué quiero? ¿Qué pienso?
Was denke ich, was will ich? – Ich denke, also spinn´ ich.

 

 

Immerzu im Kopf sein, alles zu analysieren und mental zu sezieren, ist doch beinahe pathologisch. Nicht?


Wir schauen auf einen Jahrhunderte alten Diskurs über die Trennung von Körper und Geist. Und das nicht erst seit Descartes, dem „Vater des Leib-Seele-Problems“, sondern bereits seit der antiken Philosophie, der mittelalterlichen Literatur sowie dem Anbeginn medizinischer Heilkunde. Der Dualismus von Körper und Geist hat das menschliche Sein fortwährend beschäftigt und auch gegenwärtig, scheint die Frage nach Einheit oder Trennung noch immer in unser Leben verankert.

 

Nehmen wir einmal an, wir machten uns gänzlich frei von solchen Ankern, ließen uns treiben und strandeten auf einer sonnigen Insel. Die Strahlen grüßten die Schultern, küssten sie zart und brächten unsere schreibtischharte Nackenmuskulatur zum Schmelzen. Die Gedanken beruhigten sich mit jedem Wellenschlag und uns würde bewusst, wie sehr das eigene Körperempfinden den Kopf beeinflusst (und/oder umgekehrt).

 

Die Insel – nicht nur als Inbegriff der Herauslösung aus Alltag und Routine – vermag so einiges bewusst zu machen. Aber dazu gleich mehr.

 

In der psychotherapeutischen Behandlungsmethode NLP (neurolinguistisches Programmieren) bedeutet einen Anker setzen, eine bestehende Erfahrung bewusst mit einem körperlich-sinnlichen Reiz zu verknüpfen (durch Bilder, Geräusche, Gerüche, Empfindungen und Geschmack). Während eine positive Erfahrung intensiv erinnert wird, setzt man einen Anker, beispielsweise eine Berührung an der Schulter, um diesen in der Erinnerung an eine negative, traumatische Situation wiederholt anzuwenden. Im Idealfall kann der innere Zustand, der an die Negativ-Erfahrung gebunden war, sei es Angst, Panik oder Trauer, durch den wiederholten Anker-Reiz positiv beeinflusst werden. Das ursprüngliche Trauma wird verändert erlebt.
Seit über 40 Jahren nutzt man diesen Ansatz in der Psychotherapie äußerst erfolgreich, wobei ich mich frage, wie sich die Wirksamkeit des „Ankerns“ begründet.

 

Die Philosophie des Geistes grübelt darüber, wie sich mentale Zustände (Geist, Bewusstsein, Psyche, Seele) zu den physischen Zuständen (Körper, Gehirn, Materie, Leib) verhalten1; die Neurologie versucht die Komplexität kognitiver, körperlicher und emotionaler Vorgänge zu ergründen, aber bis heute kann niemand genau erklären, was es mit der Verbindung von Körper und Geist auf sich hat. – Was in den Tiefen unseres somatischen und neuropsychischen Baukastens passiert; wie Krankheiten entstehen; wie Traumata geheilt oder nicht geheilt werden, bleibt im medizinischen Kontext, nicht anders als in der Philosophie, weitgehend nebulös. – Man könnte auch sagen unklar.

Hin und wieder gibt es jedoch am Horizont des Forscher-Himmels ein Wetterleuchten, eine Entdeckung, die ein wenig Licht ins Dunkel bringt. Und auch für den Dualismusdiskurs gab es solch einen phänomenalen Fund:

 

La ínsula, die Inselrinde, ein besonders alter und sehr versteckter Teil der Großhirnrinde, von dem Ende des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal die Rede war. Heute weiß man, dass die Insula, kaum größer als ein 2€-Stück2, der Ort ist, an dem zwischenmenschliche Erfahrungen, Emotionen und vor allem die eigene Wahrnehmung verarbeitet werden. Anders gesagt ist dieses Inselchen, als eine Art Schaltstelle, am Bewusstsein beteiligt. – Besonders am Selbstbewusstsein. – An der Aufmerksamkeit für uns selbst, für unsere aktuelle Befindlichkeit und damit auch für das Be- und Empfinden in Bezug auf andere Menschen (Tiere, Pflanzen, und so fort). So ist die Insula im Sinne des Mit-Empfindens bei Gefühlen wie Empathie, Fairness oder der Mutterliebe zugeschaltet, ebenso wie beim Orgasmus. Entscheidend ist die „intro-rezeptive Funktion“ der Insula, nämlich die Erstverarbeitung von Signalen aus der Körperwahrnehmung. „Sie ist das primäre Areal für die Aufnahme von Körpergefühlen wie Temperatur, Schmerz, Juckreiz, Hunger, Muskelspannungen, Berührungen und Signalen aus den Eingeweiden.“3 Sie wirkt auf den Hormonhaushalt, den Wasser- und Elektrolythaushalt, den Kreislauf und sogar auf den PH-Wert des Körpers. Sind Wir begeistert, empfinden Lust oder Ärger, schlägt das Herz schneller, uns wird heiß und die Sinne scheinen vielfach verschärft. Bemerkenswerterweise zeigt die Inselrinde bei schwierigen Entscheidungen besonders starke Aktivität. Darum beschert sie uns plötzliche Eingebungen und fehlt bei keiner Entscheidungsfindung. – Als besonders altes Hirnareal ist diese kleine Insula (Ur)Grund für unser allzu wertvolles Bauchgefühl. Sie lehrt uns quasi „intuitives Empowerment“.

 

Die alltägliche Bedeutung des Bauchgefühls steht vorwiegend im Zusammenhang mit emotionalen Fragen. Es ist aber eben diese Insula, die uns außerdem sagt, wann wir satt sind, uns übel wird oder die Blase drückt. Als gustatorischer Cortex (Sí! Me gusta!! / No me gusta!) ist Sie jener Teil des Gehirns, der Geschmack verarbeitet und bewertet. Was ekelt uns an? Wie sehen unsere krankhaften Vorlieben aus und was macht uns süchtig? – Auf ganz pragmatischer Ebene gibt die Insula den Ton an.
Doch die zuvor genannten Aufgaben der Selbstwahrnehmung spielen auch hier eine Rolle. Das Gefühl, dass sich uns der Magen umdreht hat vielleicht nicht immer nur kulinarische Hintergründe, sondern hin und wieder weitreichendere Ursachen – Aufregung oder Ereignisse die… sagen wir zwischenmenschlicher Natur sind, zum Beispiel. Durch ihre umfassenden Aufgabenbereiche für Psyche, Organe und deren Verbindung spricht die Insula zweifelsohne gegen den Dualismus von Körper und Geist. Das analytische Kalkül gedrosselt und die Sinne geschärft, scheint das „Leib-Seele-Problem“ gar nicht mehr so problematisch. Wie komplex unsere Angelegenheiten auch seien mögen, meist scheint es ein guter Rat, auf den Bauch zu hören. *gluck gluck

 

Die Philosophie, die im Allgemeinen ja gern geistig konstruiert, dividiert und umherjongliert, ist dem Bauchgefühl vielleicht weniger gut gesonnen, nichtsdestotrotz gibt es in Kants Kritik der reinen Vernunft es eine bemerkenswerte Schlüsselstelle, in der auch er von einer Insel spricht – von einer Insel als „Domäne der Gewissheit“4, einem „Land der Wahrheit“, mit naturgegeben unveränderlichen Grenzen. Das stürmische Meer, bezeichnet Kant im Gegensatz dazu als Illusion, als „Sitz des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt und […] den Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen und sie doch niemals zu Ende bringen kann.“5
Die Insulaner (egal ob die Alteingesessenen oder Kurzzeit-Touristen) sind also mit ihrem intro-rezeptiven Cortex allein. Viele tausend Nervenzellkörper freuen sich endlich gehört zu werden. Ruhe. Abstand. Innenschau. Warum sagen wir wohl, „ich bin reif für die Insel“? – Nirgends sonst könnten wir das, was in uns vorgeht so intensiv empfinden wie auf ihr. Meditativer Tauchgang der Sinne. Tanz auf den Klippen.

 

In Kants verlorenem Seefahrer sehe ich jede Menge Großstädter – Berliner, Pariser, Porteños6– herumirrend auf der Main Road. Der Metropol-Dschungel-Rummel als Pendant zur weiten stürmischen See. – Zu viel geht. Alles dreht. Und es gilt sich äußerlich dicht zu machen. Am besten alle Verbindungen kappen um von innen nicht völlig überzuschnappen. – Wenn ich das nächste Mal Gefahr laufe, von Sinneseindrücken und Entscheidungsmöglichkeiten überflutet zu werden, erinnere ich mich daran, dass die Insel immer da ist. Da oben drin, in den grauen Zellen. Versteckt zwar, aber crucial. (dict.cc: entscheidend, wesentlich, ausschlaggebend, essenziell, kritisch, kreuzförmig - [nicht unbedingt] - aber sehr wichtig, äußerst wichtig). Eine ausgesprochene Hilfe als Emotionsbarometer, Anker und Richtungsweiserin – la Ínsula. Gracias.

 

 

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes

 

2 Siehe online-text Apes

 

3 www.lexicon.stangl.eu

 

4 Abysmal Autor/Philozeitschrift

 

5 ebenda

 

6 Gente que vive en Buenos Aires

 

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